Montag, 10. Februar 2014

Montag, 10.2.


Montag, 10. Februar

Der vorletzte Tag unserer Südafrika-Reise verdeutlicht die Ambivalenz, welche uns im Westkap begegnet. Geplant ist ein morgendlicher Ausflug in die Century City, eine künstlich geschaffene Einkaufs-, Hotel- und Freizeit-Oase mitten im Nirgendwo vor Kapstadt. Hier findet sich unter anderem eines der größten Einkaufszentren (engl. „Mall“) Afrikas, mit allem, was das Konsumherz begehrt, Designer-Mode, Autohändlern und Juwelieren. Unser Ziel steht jedoch schon vor Antritt des Ausflugs fest – der in der Mall befindliche Biltong (Trockenfleisch)-Händler. Dieser ist der Einzige, welcher uns die landestypischen Springbock-, Straußen- und Kudu-Sorten anbieten kann. Als standesgemäßes Transportmittel in diese Stätte der Dekadenz wählen wir den Bus und das Taxi (Taxis sind die typisch afrikanischen Transporter mit ca. 12 Sitzplätzen). Erwähnenswert ist, dass die Taxis Sinnbild der afrikanischen Flexibilität und nicht zuletzt auch eine Lektion in Sachen Solidarität der Afrikaner sind. Man muss sich vorstellen, am Straßenrand zu stehen. Plötzlich nähert sich in einem Taxi ein schreiender Beifahrer, man tauscht bei etwa 100 dB Umgebungslautstärke die Destination aus, der Taxifahrer steigt in sportlicher Mentalität in die Eisen, man steigt hinzu und 10 Sekunden später befindet sich das Fahrzeug schon wieder in Bewegung. Auf dem Weg zum Reiseziel verlangsamt das Taxi seine Fahrt bei ungefähr jedem Passanten, der Kopilot schreit wieder aus dem Fenster, Fahrgäste steigen aus und hinzu und so weiter. Ein flexibleres Transportmittel des öffentlichen Personennahverkehrs ist kaum vorstellbar, es ist geradezu die direkte Umsetzung von Angebot und Nachfrage. Die oben beschriebene Solidarität der afrikanischen Fahrgäste zeigt sich uns auf dem Rückweg von der Mall. Es ist nämlich keineswegs so, dass die Anzahl der Sitzplätze die Anzahl der Fahrgäste limitiert. Wir waren allesamt etwas verdutzt, als der Kopilot des Taxis trotz vollen Gefährtes weiteren Passanten anbietet, dasselbe Taxi zu benutzen. Unsere Verwunderung soll zügig aufgelöst werden, als der Kopilot unter einem Sitz zwei Holzbretter hervorzaubert, welche quer über die Lücke zwischen den Sitzen gelegt werden, um so zwei neue Sitzplätze zu schaffen. Zusätzlich wird die Mittelkonsole mitsamt der Handbremse zum Sitz umfunktioniert, insgesamt kann also, nachdem alle Fahrgäste zusammengerückt sind, ca. 16 Passagieren Platz in dem Taxi geboten werden. Dem Umgebungsschalldruckpegel von 100 dB dröhnt in dem vollbesetzten Taxi afrikanische Popmusik bei etwa 130 dB entgegen. Es ist jedoch selbstverständlich, dass jedem Afrikaner eine Mitfahrt ermöglicht wird, auch Einkäufe, Kinderwagen und Bananenkisten finden einen Platz. Wenngleich unser Mitgefühl dem Fahrwerk der Taxis und unseren Steißbeinen gilt, hinterlässt die Rückfahrt von der Century City doch einen sehr positiven Eindruck bei uns. Dieser wird nur kurzzeitig von einem Salto mortale getrübt, welchen Gerrit unternimmt, indem er mit seinem rechten Bein in ein Loch im Gehweg tritt. Aber nichts Schlimmes ist passiert, der Weg wird unvermindert fortgesetzt. Während der Morgen also dem Überfluss gewidmet war, steht der Nachmittag im Zeichen derer, die nicht einmal das Nötigste haben. Wir machen uns erneut nach iThemba Labantu auf, zum einen, um die für den Unterricht der Schüler geliehen Instrumente zurückzugeben, zum anderen, um uns im Bead-Shop mit allem, was das Kunst- und Keramikliebhaber-Herz begehrt, einzudecken. Die Anfahrt hierhin bestreiten wir auf der Ladefläche des Marimba-Bandmobils. Natürlich lassen wir diese Gelegenheit nicht ungenutzt, unserem Besuch den Blechmusik-Stempel zu verpassen. Zunächst spielen wir den Preschool-Kindern einige Stücke vor, gefolgt von einem Mini-Konzert für die Patienten der HIV- und AIDS-Station. Anschließend trinken wir noch eine Limonade, unterhalten uns mit den Mitarbeitern und (deutschen) FSJlerinnen und fahren, wie vereinbart, um 16.00 Uhr zurück nach Athlone. Gemessen in afrikanischen Zeiteinheiten. Erneut begehen wir den Fehler, unsere okzidentale Zeitmessung als Maßstab für die Terminfindung anzulegen. Auch nach mehreren Limonaden zeichnet sich um 16.45 Uhr noch keine Gelegenheit der Rückkehr ab. Grund hierfür ist das Fehlen eines geeigneten Vehikels. Während Jonathan, unser Fahrer, diesem Umstand gelassen begegnet, sehen wir unseren letzten Termin des Tages, ein Dinner bei Thelo Wakefield, zu welchem wir um 18.00 Uhr geladen sind, gefährdet. Mit einer knappen Stunde Verspätung schaffen wir es dennoch, rechtzeitig zurückzukommen.
Bei Thelo angekommen, stellen wir zunächst fest, dass der Hausherr noch gar nicht im Hause ist. Desire, seine Frau, ist jedoch eine mehr als würdige Vertretung, welche uns fürstlich bewirtet. Megan, seine Tochter teilt zunächst Wasser zur Erfrischung aus. Veit nutzt die Gelegenheit, um noch schnell vor dem Dinner zu duschen, indem er mittels geschickter Armmanöver das Tablett mit sechs randvollen Wassergläsern in Megans Händen verkippt und ihren Inhalt – auf dem Sofa sitzend – über seinem Haupt verteilt. Kurzerhand „bewaffnet“ sich Megan mit einem Fön und trocknet den erfrischten Gast. Erstaunlicherweise geht keines der Kristallgläser zu Bruch.
Das Abendessen entpuppt sich nach kurzem Tischgebet als Reprise des südafrikanischen Überflusses. Neben Springbock und Lamm werden Kartoffelgratin und Süßkartoffel-Butternut (Kürbis)-Mash gereicht.
Nachdem wir unser Mahl beendet haben, erscheint Thelo in der Tür. Im Sinne einer Erklärung seiner Verspätung erzählt er uns interessante Geschichten aus den Irrungen und Wirren internationalen Spitzensports. Nachdem wir ihm von den Ereignissen der vergangenen Woche berichtet haben, kommen wir überein, dass die Blechmusik noch deutlich weiter vorangetrieben werden muss und wir unsere Kräfte weiter bündeln wollen, um dieses Ziel zu erreichen.
Nach einem Ständchen unseres Sextetts fahren uns Thelo und Desire zurück ins Youth-Centre, wo wir die Erlebnisse des Tages revuepassieren lassen.

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